Wer ein Leben rettet
Ausstellung zum „Verlorenen Transport“ von Tröbitz vom 12. Januar bis 3. März im Sänger- und Kaufmannsmuseum Finsterwalde zu Gast
Zu den im April 1945 in Tröbitz befreiten jüdischen Häftlingen des Konzentrationslagers Bergen-Belsen gehörten auch eine ganze Reihe von Kindern. Erstmals beschäftigt sich jetzt eine Ausstellung mit den Erfahrungen, die diese Kinder während ihrer Gefangenschaft machen mussten und mit ihrem weiteren Lebensweg. Die vom Förderkreis der Brikettfabrik Louise und einer Projektgruppe unter Prof. Günter Morsch entwickelte Ausstellung richtet sich besonders an Jugendliche. Der Besuch ist zu den Öffnungszeiten des Museums außer montags, für Gruppen auch darüber hinaus, möglich. Der Eintritt ist frei.
Die Wanderausstellung veranschaulicht die Biografien von acht exemplarisch ausgewählten jüdischen Kindern und Jugendlichen, die 1945 mit dem „Verlorenen Transport“ aus dem Konzentrationslager Bergen Belsen deportiert und bei dem Bergarbeiterdorf Tröbitz in der Lausitz befreit wurden. 27 Tafeln zeigen mit zumeist unbekannten privaten Fotos und Illustrationen das Leben der jüdischen Familien in den besetzten Ländern, die Deportation in die Durchgangs- und Konzentrationslager des „Dritten Reichs“ sowie die unterschiedlichen Lebensverläufe nach der Befreiung in Tröbitz. Im Vordergrund stehen dabei die durch die schrecklichen Erlebnisse der Verfolgung und den Verlust enger Familienangehöriger bestimmten Prägungen der jüdischen Kinder. In der Ausstellung kommen auch „Kinder der Kinder“, also nachfolgende Generationen der KZ-Überlebenden, zu Wort. Sie sprechen über ihren Umgang mit der Weitergabe von Traumata über die Generationen hinweg und über ihren individuellen Umgang mit der Familiengeschichte.
Die Ausstellung ist mit Videoausschnitten, die mithilfe von QR-Codes per Smartphone angesehen werden können, und drei Videostationen multimedial aufbereitet. Zudem gibt es eine Website und eine webbasierte App, die jeweils eigenständige Vermittlungsmedien sind. Damit bietet die Wanderausstellung die Beschäftigung mit ihren Inhalten über den Besuch der Ausstellung hinaus. Diese ermöglichen auch Arbeitsmaterialien für SEK1 und SEK2, die auf der zugehörigen Website heruntergeladen, gedruckt oder per Tablet genutzt werden können. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, gedruckte Materialien anzufragen und sich zuschicken zu lassen.
Das Begleitmaterial vermittelt die spezifische Situation der jüdischen „Child-Survivors“, was breite Anknüpfungspunkte für Jugendliche bietet. Der Blick auf die Gegenwart und die 2. und 3. Generation vermittelt Jugendlichen die Tragweite und Wirkung der Ereignisse auf die Gegenwart. Hierdurch könnten pädagogische Begleitpersonen Gespräche und Diskussionen über eigene familiäre Verknüpfungen mit dem Nationalsozialismus anregen. Unter https://verlorenertransport.de finden Interessierte weitere Informationen.
Foto MVEE: Die Ausstellung zum „Verlorenen Transport“ von Tröbitz ist bis 3. März im Sänger- und Kaufmannsmuseum Finsterwalde zu Gast.
Hintergrund
Die rund 2.500 KZ-Häftlinge des „Verlorenen Transports“ waren sogenannte „Austauschjuden“. Sie sollten gegen im westlichen Ausland internierte Deutsche, aber auch gegen Rüstungsgüter „ausgetauscht“ werden. Die Nationalsozialisten betrachteten sie als völlig rechtlose Geiseln, die in dem ganz Europa umspannenden Vernichtungsprozess des Holocaust jederzeit ermordet werden konnten. Insgesamt sollten etwa 6.700 Juden, Frauen, Männer und Kinder, mit drei Bahntransporten aus dem Konzentrationslager Bergen Belsen in das KZ Theresienstadt verlegt werden.
Sowjetische Truppen befreiten die Insassen des „Verlorenen Transports“ am 23. April 1945 bei Tröbitz. Dort konnte der Zug nicht mehr weiterfahren, weil Hitler-Jugend die Eisenbahnbrücke über die Schwarze Elster gesprengt hatte. Die SS-Bewacher waren kurz zuvor geflohen. Die sowjetischen Soldaten fanden die meisten Insassen des Zuges in einem von Hunger und Krankheiten verursachten katastrophalen körperlichen Zustand. Während der Zugfahrt und in ersten Wochen nach der Befreiung starben insgesamt rund 550 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Sie wurden zumeist in Massengräbern entlang der Gleise und in den Aufnahmedörfern beerdigt. Auch 27 Einwohner von Tröbitz starben an den Folgen der von den KZ-Häftlingen in das Dorf mitgebrachten Krankheiten.
Das sowjetische Militär ordnete die Unterbringung der über 2.000 kranken und geschwächten Überlebenden des Verlorenen Transports in den privaten Häusern von Tröbitz und anderen kleinen Dörfern der Umgebung an. Die Bewohner mussten ihre Wohnungen und Häuser ganz oder teilweise räumen. Sie mussten an der Versorgung, Betreuung sowie der Pflege der erkrankten Juden mitwirken. Fast alle überlebenden befreiten Juden verließen bis August 1945 die Dörfer. Sie wanderten aus oder kehrten in ihre Heimat zurück. Nur ein Junge, der später bekannte Filmregisseur Celino Bleiweiss, verblieb dort mit seinen Eltern bis 1949. In den Jahren danach blieben Einwohner der Aufnahmedörfer mit jüdischen Überlebenden in Kontakt und organisierten Gedenkveranstaltungen. Nach 1990 besuchten immer mehr Zeitzeugen und ihre Angehörigen die Gräber der Verstorbenen des Verlorenen Transports.
Weiterführende Informationen zur Geschichte des „Verlorenen Transportes“ können dem Artikel von Ralph Gabriel und Ariane Sept: „Der dritte Zug. Die Geschichte und Nachgeschichte des dritten Räumungstransports aus dem KZ Bergen-Belsen nach Tröbitz in der Niederlausitz“ entnommen werden, der in „Der Speicher. Jahresschrift des Kreismuseums Finsterwalde 17“ 2015 erschien.
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